Die Tabula Russiae (Maßstab ca. 1:9,000.000) wurde 1613 vom Niederländer Hessel Gerritsz (1581-1632) herausgegeben. Er war unter anderem offizieller Kartograph der VOC und im Verlag Blaeu als Kartograph angestellt. Die hier gezeigte Karte basiert auf Skizzen des russischen Zaren Fjodor II. (Fjodor Borissowitsch Godunow, 1589-1605) und auf Reisebeschreibungen, die unter anderem von Sigmund von Herberstein (1486-1566) verfasst wurden. Herberstein unternahm zwei ausführliche Reisen nach Russland, wodurch er zu einem der bedeutendsten Kenner dieses Landes seiner Zeit wurde. Im Jahre 1549 publizierte er seine umfangreiche Beschreibung Rerum Moscoviticarum Commentarii. Aber auch die Berichte niederländischer Entdeckungsreisender wie Willem Barentsz (1550-1597) wird Gerritsz für seine Karte zu Hilfe genommen haben. Barentsz erkundete während der 1590er Jahre unter anderem Nowaja Semlja. Hessel Gerritsz widmete die Karte dem damaligen russischen Zaren Michael I. (Michail Fjodorowitsch Romanow, 1596-1645). Eine leicht veränderte Ausgabe erschien 1614.
Die Karte erstreckt sich von Deutschland im Westen bis zum Kaspischen Meer im Osten und von Nowaja Semlja im Norden bis zum Schwarzen Meer und dem Kaukasus im Süden. Als Ausgangspunkt für die Längenzählung wurde die Insel Ferro gewählt. Die Längen- und Breitenangaben sind in 5°-Schritten am Kartenrand angegeben. Zusätzlich enthält das Kartenbild ein Gitternetz und eine graphische Maßstabsleiste in Milliaria Russicae. Links oben befindet sich ein Vogelschauplan von Moskau. Dieser weist eine Ähnlichkeit mit dem Plan von Georg Braun (1541-1622) und Frans Hogenberg (1535-1590) auf, die 1572 das Städteansichtenbuch Civitates Orbis Terrarum veröffentlichten. Zudem kann der Kartenbetrachter eine Ansicht von der nordrussischen Hafenstadt Archangelsk mit 3 Männern in russischer Tracht und eine Titelkartusche mit russischem Wappen sehen.
Während die Ostsee (Mare Balticum) und das Schwarze Meer (Pontus Euxinus) annähernd wirklichkeitsgetreu in die Karte integriert wurden, haben Größe und Form des Kaspischen Meeres (Mare Caspium) noch nichts mit der Realität gemeinsam. Es erinnert noch sehr an die Visualisierung in den Ptolemäus-Karten. Demgegenüber erscheinen im Nordwesten die Halbinsel Kola und das Weiße Meer (Album mare) bereits einigermaßen korrekt, auch wenn bei Letzterem die drei charakteristischen Buchten noch kaum vorhanden sind. Die Gebirge trug Hessel Gerritsz in der damals noch typischen Maulwurfshügelmanier ein. Demzufolge hat er auch keine Unterscheidungen zwischen Hoch- und Mittelgebirge vorgenommen. Die Berge des Kaukasus und der Kola-Halbinsel wirken daher als gleich hoch, obwohl ihre höchsten Erhebungen ungefähr 4400 Meter trennen. Die großen Flusssysteme sind vollständig in die Karte integriert worden. Ihre Laufrichtungen erscheinen der Zeit entsprechend noch ausgesprochen schematisch, was der Kartenbetrachter zum Beispiel im Unterlauf der Wolga sehen kann.
Petra Svatek
Quellen und weiterführende Literatur:
Boris P. BOLEVOI, Concering the Origin of the Maps of Russia of 1613-1614 of Hessel Gerritsz, in: Lindsay HUGHES (Hg.), New Perspectives on Muscovite History. Selected Papers from the Fourth World Congress for Soviet and East European Studies, Basingstoke 1990.
Stephan FÜSSEL, Rem KOOLHAAS, Georg Braun, Franz Hogenberg: Civitates orbis terrarum (Städte der Welt), Taschen, 2008.
Johannes KEUNING, Hessel Gerritsz, in: Imago Mundi 6 (1949), 46-66.
Gerhard PFERSCHY (Hg.), Siegmund von Herberstein. Kaiserlicher Gesandter und Begründer der Russlandkunde und die europäische Diplomatie (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 17), Graz 1989.
Michael RECKE, Willem Barents und die Suche nach der Nordostpassage, Wiefelstede 2010.
Günter SCHILDER, Gerritsz Hesse, in: Ingrid KRETSCHMER, Johannes DÖRFLINGER, Franz WAWRIK, Lexikon zur Geschichte der Kartographie. Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, Band 1, Wien 1986, 264-265.
Günter SCHILDER, Monumenta Cartographica Neerlandica IV, Alphen aan den Rijn 1993.
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